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Drei Beispiele von Fragestellungen für MathematikerInnen in der Markt- und Mediaforschung

Dipl. Math. Gunda Opfer

Reichweitenforschung:

Die Anbieter der Medien, das heißt der Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehprogramme, sowie auch von Werbeträgern wie Plakatanschlagstellen, müssen der werbetreibenden Wirtschaft ihre "Leistung (als Werbeträger)" nachweisen, das heißt:

  • "Reichweiten": Wie viele Personen haben die Chance, von einer geschalteten Anzeige, einem Spot, einem Plakat erreicht zu werden (das heißt lesen in der Ausgabe einer Zeitschrift, sehen einen Werbeblock etc.)
  • Zielgruppen: welche besonderen Merkmale haben diese Personen (Alter, Geschlecht, Schulbildung, Einstellungen zu verschiedenen Themen etc. etc.)

Dieser Anforderung rückt man mit Hilfe von ausgeklügelten Befragungen und/oder Beobachtung umfangreicher Personen-Stichproben zu Leibe, und die Ergebnisse werden mit ausgefeilten Methoden ausgewertet und für die "Mediaplanung" nutzbar gemacht. (Ein "Mediaplan" ermittelt, wieviele Anzeigen, Spots oder Plakate in welchen Medien "geschaltet" werden sollen, um z. B. möglichst viele Frauen im Alter von 20 bis 39 Jahren mindestens 5-mal mit einer Werbekampagne zu erreichen).

Dieses Gebiet der Markt-/Mediaforschung bewegt sich in Deutschland (auch weltweit) auf einem hohen Standard. Denn von den Befragungs- und Auswerteergebnissen hängen die Preise ab, welche die Medien für eine Anzeige oder einen Spot nehmen können: Durch Verrechnung mit diesen Preisen wird nämlich ermittelt, wie teuer es ist, 1000 Kontaktchancen mit einem Medium zu erzielen (1000-Kontakt-Preise). Wenn die Reichweite einer Zeitschrift fällt, muss der Anzeigenpreis erniedrigt werden, um den 1000-Kontaktpreis zu halten.

Deshalb sind die Ergebnisse dieser Studien sehr wichtig, für die Medienanbieter wie auch die werbetreibende Wirtschaft. Die Methoden der Erhebung und Auswertung werden deshalb von Gremien in der "ag.ma" (Arbeitsgemeinschaft Media Analyse e. V. www.agma-mmc.de) festgelegt und sind Gegenstand ständiger Arbeit an ihrer Verfeinerung und Weiterentwicklung. MathematikerInnen sind hier gefragt im Bereich praktischer Anwendung der …

  • Stichprobentheorie: notwendige Stichprobengröße für die Befragungen, Aufbau und Anlage der Stichproben, Fehlertoleranzgrenzen etc.
  • Wahrscheinlichkeitsrechnung: Aus den Befragungsergebnissen werden (häufig mit vorgeschalteten "Segmentationsverfahren) Nutzungswahrscheinlichkeiten berechnet und diese dann nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie verknüpft, um sogenannte Media-Streu-Pläne zu simulieren.

Es war Dipl.-Math. Friedrich Wendt (1920 - 2003), welcher in Deutschland der Mathematik auf diesem Gebiet zu ihrem Durchbruch und zur allgemeinen Anerkennung verholfen hat. Ich hatte in diversen Projekten Gelegenheit, mit ihm zusammen zu arbeiten.

"Verdichten" großer Datenmengen:

Der Wunsch bzw. Notwendigkeit, große Datenmengen (sehr viele Befragte, sehr umfangreiche Fragebögen) nicht nur tabellarisch auszuwerten, sondern zu "verdichten", um Zu- sammenhänge und Gesetzmäßigkeiten daraus abzuleiten, spielt im Bereich der Markt- und Mediaforschung eine große Rolle.

Hierbei kommen Verfahren der (angewandten) sogenannten multivariaten Statistik zum Einsatz. Auf diesem Wege sind die Psychologie und die Soziologie vorangegangen, haben die Nützlichkeit solcher Verfahren entdeckt und publik gemacht.

Es würde hier den Rahmen sprengen, die Verfahren einzeln zu beschreiben, zumal sie alle mit ihrem mathematischen Hintergrund sehr komplex sind. Daher nur eine Aufzählung:

  • Korrelations- und Regressionsanalyse
  • Faktorenanalyse
  • Diskriminanzanalyse
  • Clusteranalyse (heuristische Verfahren)

Mit ihrer Hilfe lassen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Variablen aufspüren und zum Teil auch vereinfachend graphisch aufzeigen.

Da diese Verfahren allesamt schon mit ausgefeilter Software existieren, kommt es für die MathematikerIn meist darauf an, sie sinnvoll einzusetzen, die Eingangsvariablen geeignet vorzubereiten (auswählen, normieren, vergleichbar machen), die Ergebnisse richtig zu interpretieren, neue Fragestellungen daraus abzuleiten. Am besten (eigentlich unabdingbar) ist es, schon bei der Fragebogengestaltung mitzuarbeiten, um optimale Voraussetzungen für die spätere Auswertung zu schaffen. Das erfordert ein hohes Maß an Kreativität, Vorausschau und Übersicht über das Gesamtvorhaben.

Datenfusionen:

Die Kunden in der Marktforschung möchten im Rahmen vieler Projekte (insbesondere auch in der Reichweitenforschung) für möglichst große, repräsentative Stichproben (Umfänge von 20 bis sogar 40 Tausend sind teilweise Standard) sehr, sehr viele Informationen sammeln: Nutzungsverhalten bei Zeitschriften (es gibt Hunderte von Titeln), Rundfunk und Fernsehen; dazu Konsumgewohnheiten, Einstellungen und Meinungen zu einem breiten Themenspektrum. etc. etc., und natürlich statische Daten in breitem Umfang.

Idealer Weise sollte das alles "single source" erhoben sein, alles "aus einer Quelle". Das heißt, man möchte möglichst von jeder befragten Person alle diese Informationen zur Verfügung, um damit sehr spezifische zielgruppenbezogene Zählungen durchzuführen (z. B. Männer im Alter von 20 bis 29 Jahren, die gern Bier trinken und mindestens zweimal die Woche eine Kneipe besuchen: Welche Zeitschriften lesen sie, welche Rundfunk- und TV-Programme hören/sehen sie zu welcher Uhrzeit?)

Die zumutbare und sinnvoll durchführbare Interviewlänge ist aber recht begrenzt (eine Stunde ist meist schon zuviel). Daher ist man auf die Idee gekommen, die Fragen auf verschiedene (vergleichbare) Stichproben aufzuteilen und diese Stichproben dann zu einer einzigen zusammenzufügen (zu "fusionieren"), welche dann die Informationen aus beiden Quellen enthalten. Dazu benötigt man einen gewissen Vorrat an Informationen, die in beiden Stichproben abgefragt werden ("Bindeglieder"), mit Hilfe derer man jeweils "ähnliche" Personen aus beiden Stichproben aufspürt, um dann die anderen erfragten Merkmale in einer Art "künstlicher Person" miteinander zu vereinigen. (Auch) hier hat der schon erwähnte Dipl.-Math. Friedrich Wendt Pionierarbeit geleistet.

Mit dieser Methode, an deren Durchführung (von MathematikerInnen) ständig weiter gearbeitet und gefeilt wird, kann man theoretisch beliebig viele "abgefragte" Information pro Person erzeugen. Nach anfänglicher Skepsis hat sich die werbetreibende Wirtschaft inzwischen daran gewöhnt, mit künstlichen, das heißt fusionierten Datenbeständen zu arbeiten. Eine deutliche Kritik, verbunden mit einer Anleitung zu vorsichtigem Umgang mit diesen Daten ist jedoch nur allzu berechtigt.


 
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