Die Hamburger Stochastik-Tage 2000
(German Open Conference on Probability and Statistics)

Vom 21. bis 24. März fanden am Fachbereich Mathematik die Hamburger Stochastik-Tage 2000 statt. Hinter dem Namen Stochastik (griechisch: Geschicktes Vermuten) verbirgt sich die Mathematik des Zufalls. Wie der Untertitel der Konferenz "German Open Conference on Probability and Statistics" besagt, arbeiten Stochastiker im Bereich der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Diese grobe historische Einteilung verbirgt eine fast explosionsartig angewachsene Vielfalt dieses Wissenschaftszweiges, die deutlicher wird, wenn wir einige der 17 Sektionen der Konferenz näher betrachten:

In der "Finanzmathematik" geht es beispielsweise um die Frage, was heute der faire Preis ist für eine Option, also z.B. für das Recht, in einem Jahr eine Aktie zu einem jetzt festgelegten Preis zu kaufen. Die Unsicherheit der Kursentwicklung wirft dabei schwierige Fragen auf, zu deren Beantwortung die Stochastiker neuartige mathematische Methoden entwickeln.

In der "Versicherungsmathematik" geht es um die Entwicklung fairer Preise für neuartige Versicherungsprodukte. Die Unsicherheit über die Lebenserwartung der Versicherungsnehmer bei Lebensversicherungen oder der Schadenszahlen und Schadenshöhen bei Sachversicherungen macht wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen unabdingbar.

Ein weiteres klassisches Feld der Anwendung statistischer Methoden ist die "Biometrie": Ist ein neu entwickeltes Medikament dem Standardmedikament überlegen, oder sind die Ergebnisse an den betrachteten Patienten allein durch die immer vorhandenen zufälligen Schwankungen in den Reaktionen der einzelnen Personen erklärbar? Wieder ist der Stochastiker gefragt, mathematische Methoden zur Beantwortung solcher Fragen zu liefern.

Als letztes Beispiel sei die Sektion über "Stochastische Netzwerke" angeführt: Wie muss beispielsweise ein Netzwerk von Computern ausgelegt sein, damit es nicht ständig wegen Überlast zusammenbricht? Da die Beanspruchung des Netzes zufallsbedingten Schwankungen unterworfen ist, sind auch hier wahrscheinlichkeitstheoretische Methoden zu entwickeln, die dieses berücksichtigen.

 

Das Interesse an den Stochastik-Tagen, deren Vorläufer Marburg (1993), Freiberg (Sachsen, 1996) und München (1998) ist von Mal zu Mal gestiegen. Diesmal kamen 350 Teilnehmer aus Deutschland und 16 weiteren Ländern (USA, Japan, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Weißrussland, Ukraine, Polen, Tschechische Republik, Österreich, Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Niederlande). Erfreulich ist die große Resonanz in den östlichen Ländern. Die Hauptredner Prof. Dr. B.Silverman (Bristol) und Prof.Dr.P.Deheuvels (Paris) sind international führende Experten auf ihrem Gebiet.

Während der Tagung wurden 250 wissenschaftliche Vorträge gehalten in sechs parallelen Sektionen. Hier erwies sich das Geomatikum mit seinen kurzen Wegen als idealer Veranstaltungsort. In einer Podiumsdiskussion zum Thema "Stochastics after the year 2000" wurde insbesondere auf die Notwendigkeit eines engen Kontakts zwischen Anwendern und Mathematikern hingewiesen.

Besonders großen Wert legt die Fachgruppe Stochastik der Deutschen Mathematiker Vereinigung, die die Konferenz veranstaltete, auf die Förderung von Nachwuchs - Wissenschaftlern, die auf den Stochastik-Tagen die Chance erhielten, ihre Ergebnisse einem breiten Publikum vorstellen zu können und so wissenschaftliche Kontakte zu knüpfen. Zur Förderung dieses Gedankens hat die Fachgruppe schon bei früheren Stochastik-Tagen einen großzügig ausgestatteten Preis für die beste Dissertation der letzen beiden Jahre ins Leben gerufen, der während der Tagung im Rahmen eines Preisträgervortrages an Dr. Ingo Steinke aus Rostock verliehen wurde.

Frau Prof.C.Klüppelberg überreicht den Dissertationspreis der Fachgruppe an Ingo Steinke (Rostock)

Die Stochastik-Tage bilden zwar in erster Linie ein Forum zur Verbreitung von Forschungsergebnissen und Ideen. Forschung und Lehre sind aber untrennbar miteinander verbunden, und so erhofften sich die Veranstalter durch diese Konferenz auch eine bessere Wahrnehmung dieses Fachgebietes in der Öffentlichkeit, insbesondere bei zukünftigen Studierenden. Tatsächlich wurde im Rundfunk überregional (WDR, HR, Radio Berlin) und im lokalen Fernsehen in Live Interviews, sowie in der Presse (Welt, DPA) über die Konferenz berichtet. Folgende wichtige Tatsachen kamen dabei immer wieder zur Sprache:
Der Mangel z.B. an Wirtschaftsmathematikern, deren Ausbildung in wesentlichen Teilen aus Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung besteht, ist eklatant. Der Bedarf beläuft sich laut Welt am Sonntag auf jährlich 3000 Wirtschaftsmathematiker, z.Zt. gibt es jährlich aber nur 300 Absolventen. Die Berufschancen sind für Stochastiker und allgemein für Mathematiker excellent. Die Idee, dass man als Mathematiker nur Lehrer werden kann spukt noch in manchem Schüler-Kopf herum, ist aber völlig falsch.

Mathematik ist eine lebendige, zukunftsträchtige Wissenschaft, eine Schlüsseltechnologie der Zukunft!!

(Prof.Dr.Georg Neuhaus, Fachbereich Mathematik)