Programm der Herbsttagung 2002
Mathematische Gesellschaft in Hamburg
zusammen mit dem
Fachbereich Mathematik der
Universität Hamburg
Mathematik und Musik
15.00 - 15.10 Uhr |
Begrüßung und Einführung |
15.10 - 16.00 Uhr |
Wilfried
Neumaier |
16.00 - 16.40 Uhr |
Kaffeepause |
16.40 - 17.30 Uhr |
Rolf Bader, Albrecht
Schneider |
17.50 - 18.40 Uhr |
Wolfgang Metzler |
ca. 19.30 Uhr |
Nachsitzung im "Anglo-German-Club" ( Anmeldung erforderlich, möglichst bis 1.11.02). Für das Essen wird ein Unkostenbeitrag von 25 EUR pro Person erhoben. |
9.30 - 10.20 Uhr |
Bernhard Ganter |
10.30 - 11.30 Uhr |
Kaffeepause |
11.30 - 12.20 Uhr |
Manfred Stahnke |
ab 15.00 Uhr |
Museum für Kunst und Gewerbe: Schwerpunktthema "Musik" im Rahmen des "Tags der Kunstmeile" |
Metzingen
Der Vortrag gibt einen Überblick über die abendländische Tonsystemgeschichte nach folgenden Gesichtspunkten:
Der Anfang der Musik-Mathematik: Pythagoras-Legenden, Harmonie-Gleichungen des Philolaos, Musik-Sätze des Archyts.
Der interessanteste Kopf der antiken Musik-Mathematik: Aristoxenos. Seine deduktiven Prinzipien, Definitionen, Experimente und axiomatische Tonsystemtheorie.
Die dialektische Tonsystemgeschichte: Euklids Tonsystem und Anti-Aristoxenos-Sätze - Ptolemaios - Boetius - Odos Tonbuchstaben - Guidos Notenlinien.
Quintsystem im Spätmittelalter - Ramis de Parejas reine Terz - Aarons mitteltönige Temperatur - Lanfrancos Lautenstimmung - Vicentinos 31stufige Instrumente - Werckmeisters wohltemperiertes Klavier.
Beiträge zur Synthese durch Zarlino, Galilei, Stevin und Huygens.
Die moderne Tonsystemtheorie als angewandte lineare Algebra: Tonhöhen-Vektorraum, Stimmungen als Lösungen linearer Gleichungssysteme.
Rolf Bader, Albrecht Schneider
Universität Hamburg
Mathematik und physikalische Akustik helfen, musikwissenschaftliche Fragen zu beantworten. Dies gilt sowohl für die Analyse und Synthese von Klängen wie die Modellierung und Berechnung von Musikinstrumenten, ihren Schwingungsvorgängen und ihrer Schallabstrahlung, schließlich für Modelle der Hörbahn und der darin ablaufenden Perzeptionsprozesse.
Die Analyse und Synthese von Instrumentenklängen folgt häufig dem Fourier-Theorem.
Für die Beschreibung der schwingenden Klangkörper werden Differentialgleichungen zweiter Ordnung für die Saite oder die Luftsäule, vierter Ordnung für den Stab, die Platte oder ähnliche Körper gebildet. Für schwingende Schalen, wie sie angenähert etwa eine Glocke darstellt, benötigt man Differentialgleichungen achter Ordnung. Die komplizierten geometrischen Verhältnisse fast aller Musikinstrumente machen hierbei meist nur Näherungslösungen möglich. Weiterführend wird die Methode der Finiten Elemente, wie sie im Ingenieursbereich Anwendung findet, auch in der Musikwissenschaft bei der Bestimmung der Eigenwerte z.B. von Geigen eingesetzt.
Die Modellierung des Schwingungsverhaltens von Musikinstrumenten und der von ihnen abgestrahlten Klänge kann mit verschiedenen mathematischen Modellen unternommen werden. Dabei haben Methoden der Signalverarbeitung erhebliche Bedeutung gewonnen.
Neben FFT-basierten Verfahren oder Wavelettechniken bietet der aus der Chaostheorie bekannte Ansatz fraktaler Dimensionen, gekoppelt mit nichtlinearer Schwingungstheorie, vielfältige Möglichkeiten: auf die komplizierten und musikalisch sinngebenden Schwingungsverläufe der Einschwingvorgänge von Musikinstrumenten angewandt, zeigen gerade diese Modelle verblüffende Übereinstimmungen mit perzeptorischen Gegebenheiten.
Universität Frankfurt
Schöpferische Tätigkeit in Mathematik und Musik
Ausgehend von Beispielen mathematiknaher Kompositionsmethoden und künstlerischer Komponenten im Mathematikmachen werden Selbstzeugnisse von Musikern und Mathematikern im Hinblick auf die Bestätigung oder Korrektur gängiger (Vor-)Urteile über die Schaffenspsychologie in beiden Disziplinen miteinander verglichen. Daraus lassen sich u.a. pädagogische Konsequenzen ziehen, aber auch solche, welche zu Verbesserungen in der öffentlichen Wahrnehmung und der Förderung wichtiger Entwicklungen beitragen können.
Bernhard Ganter
Technische Universität Dresden
Mit digitalen Musikinstrumenten lassen sich ungewohnte Klänge erzeugen. Das ist Gegenstand weltweiter Entwicklung, wobei sich das Interesse auf Klangfarbe und Formen konzentriert. Viel weniger betrachtet werden die musikalischen Möglichkeiten der Tonhöhe. Dabei war früher die sorgfältige Wahl der Stimmung, die richtige Temperierung, ein wichtiges musikalisches Ausdrucksmittel. Heutige Klangerzeuger, meist gleichstufig temperiert, stellen in dieser Hinsicht oft einen Rückschritt gegenüber historischen Musikinstrumenten dar.
Das Forschungsprojekt Mutabor konzentriert sich darauf, die Ausdrucksmöglichkeiten mikrotonaler Musik, feinster Tonhöhenstimmungen, für die musikalische Praxis zugänglich zu machen. Während des Spiels kann umgestimmt werden (mutierende Stimmung). Dies geschieht durch Befehle oder durch Logiken, die frei programmiert werden können. Mutabor erlaubt es, Millionen von Tonhöhen zu verwenden, wobei allerdings nicht allzuviele gleichzeitig erklingen. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist die Reine Stimmung.
Manfred Stahnke
Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Fragen zur Mikrotonalität
Das Ohr bildet, wenn es zwei Töne gleichzeitig hört, den Differenzton f2-f1 (wobei f2 der höhere, f1 der tiefere Ton ist), den sogenannten "quadratischen" Differenzton. Er entsteht direkt im Innenohr, ist nicht im akustischen Signal vorhanden. Beispiel: Die große Sekunde 9/8 ergibt den Ton 1. Wir haben noch einen anderen Differenzton, vielmehr eine ganze Kaskade, die im Ohr auf eine bisher nicht völlig verstandene Weise entsteht: Das ist der "kubische Differenzton", der sich darstellen lässt als 2f1- f2. Das wäre in unserem obigen Beispiel der großen Sekunde 9/8 also (2x8)-9=7. Die Kaskade entsteht dadurch, dass dieser neue Ton 7 mit dem Ton 8 wiederum einen neuen Ton bildet, nämlich aus (2x7)-8 den Ton 6, dieser dann den Ton 5 etc., je mit abnehmender Lautstärke, je weiter wir uns von den "Primärtönen" 9 und 8 entfernen. Wenn wir uns mit ganzzahligen Intervallverhältnissen befassen, bildet sich beim kubischen Ton eine ganzzahlige Reihe analog einer Partialtonreihe. Das Ohr bildet sich selbst ein Schattengeschehen analog zu Partialtönen. Die elementaren ganzzahligen Verhältnisse, bzw. einige unter ihnen, sind gewiss der theoretische Ausgangspunkt europäischer Mehrstimmigkeit gewesen, denken wir an Zarlino: Der Durdreiklang stünde in den Proportionen 4/5/6, der Molldreiklang wäre die Umkehrung. Aber wir müssten eine Grenze ziehen (wie es tatsächlich historisch der Fall war): Bestimmte Zahlen wie die 7, die 11, die 13 sprengen das System. Diese Primzahlen und alle weiteren stehen quer, übrigens schon die 5, die als "Naturterz" nicht ohne Reinheitskompromiss in ein Quintensystem einzupassen ist. Wir kennen das mitteltönige Temperatursystem, wo auf Kosten der Quinten in den nahen Tonarten reine Terzen 5/4 gestimmt wurden. Diese Phänomene werden anhand der neuen Oper "Orpheus Kristall" von Manfred Stahnke behandelt.
Museum für Kunst und Gewerbe: Tag der Kunstmeile