Tipps für Seminarvorträge

Vorbereitung:

Prägen Sie sich den Vortrag so gut ein, dass Sie ihn grundsätzlich frei halten könnten: wirklich aus dem Kopf, ohne Notizen. Dies ist der grundlegendste und wichtigste Tipp dieser Seite, und ohne ihn sind die meisten anderen gegenstandslos oder undurchführbar. Einen mathematischen Gegenstand sowohl im Überblick als auch im Detail so zu durchdringen, dass man ihn auf Zuruf ohne weitere Vorbereitung jedem erklären könnte, ist gleichzeitig die wichtigste Fähigkeit, die in Seminaren trainiert wird: sie ist unabdingbar für substanziellen Gedankenaustausch  mit anderen Mathematikern, und dieser wiederum ist wesentlicher Bestandteil aller mathematischen Tätigkeit.

Stellen Sie sich ihre Zuhörer vor: was ist ihr Vorwissen, was ihre Interessen? Setzen Sie nicht voraus, dass sich Ihre Zuhörer dafür interessieren, was Sie ihnen vortragen wollen: Sie selbst müssen sie erst motivieren und überzeugen!

Machen Sie sich selbst einen roten Faden klar, um den sich der gesamte Vortrag rankt. Er beginnt mit Motivation und Einordnung der Fragestellung – warum ist dieser Satz/Begriff überhaupt interessant –, begleitet seine einzelnen Schritte – wo sind wir gerade im Gesamtbeweis? – und schließt mit einer Zusammenfassung des Erreichten, die vielleicht auf die Einführung zu Beginn Bezug nimmt. Stellen Sie dann sicher, dass sowohl Sie selbst als auch Ihre Zuhörer diesen roten Faden stets im Kopf haben und mitverfolgen können.

Planen Sie die Darstellung im Detail. Was schreiben Sie an welche Tafel? Wann wischen Sie es aus? Wofür reservieren Sie Platz?

Verwenden Sie Folien (oder ihre elektronischen Äquivalente) nie als Fokus Ihrer Darstellung, sondern allenfalls zur Bereistellung des Hintergrundes dessen, worüber Sie eigentlich sprechen (und dies an anderer Stelle der Tafel durch informelle Skizzen begleiten). Beispiele für Folienhinhalte sind: Definitionen, Sätze und Aussagen, die Sie (an anderer Stelle) beweisen. Ausformulierte Beweise sind fast immer ungeeignet für Folien – es sei denn, sie sind so knapp formuliert, dass Sie neben dieser Rumpfdarstellung eine ausführlichere Eklärung mit separaten ad-hoc-Notizen parallel laufen lassen und der Folienbeweis für lange Zeit sichtbar bleibt. Bei Tagungsvorträgen mit knapp bemessener Zeit können auch Bilder sinnvoll auf Folien sein, damit man keine Zeit mit dem Zeichnen zubringen muss; im Seminar ist es fast immer besser, wenn das Bild begleitend zur mündlichen Darstellung nach und nach an der Tafel erstellt wird.

Teilen Sie Ihre Zeitressourcen zur Vorbereitung sinnvoll ein. Ein typischer Anfängerfehler – leider nicht selten in der Schule antrainiert – ist, ganz erhebliche Zeit in technischen Firlefanz zu stecken wie elaborate Computerbilder, die einem bei der gedanklichen Aufbereitung des Vortrags dann fehlt. Wenn Sie wirklich Zeichnungen auf Folien zeigen wollen, erstellen Sie sie von Hand und binden Sie einfach ein Foto der Zeichnung in die Datei ein.

Halten Sie Ihren Vortrag zur Probe, und zwar laut: erst beim Aussprechen eines vermeintlich völlig klaren Gedankens merkt man häufig, wie wenig klar er eigentlich war. Oder auf welchen Voraussetzungen er beruhte, die vielleicht jetzt gar nicht gegeben sind. Üben Sie den Vortrag mit Stoppuhr, mindestens vor Ihrem Teddybären zuhause mit imaginierter Kreide an einer vorgestellten Tafel. Besser vor ein oder zwei Mitstudenten, die Feedback geben können. Noch besser, wenn es sich einrichten lässt, an einer tatsächlichen Tafel in einem Raum, der dem Vortragsraum ähnlich ist.

Ihr Probevortrag zeigt Ihnen, wie viel Zeit Sie etwa für welche Abschnitte brauchen. Machen Sie sich dazu Notizen während des Probevortrags, und schreiben Sie diese Zeiten gut sichtbar in Ihre Vortragsnotizen: dann wissen Sie während des Vortrags immer, wie Sie in der Zeit liegen. Und planen Sie Flexibilität ein: welche Teile könnten Sie weglassen, wenn die Zeit knapp wird?


Vortrag selbst:

Stellen Sie gleich zu Beginn Kontakt zum Publikum her, sprechen Sie die Leute an, und behalten sie diesen Kontakt bis zum Ende des Vortrags. Verfolgen Sie dann während Ihres Vortrags aus Sicht der Zuhörer mit, was diese zum jeweiligen Zeitpunkt schon wissen, was sie erhoffen, welche Bilder sie vielleicht haben.

Trennen Sie zwischen dem Gerüst an Definitionen und Aussagen, die vollkommen klar und präzise dargestellt und möglichst lange einsehbar sein müssen, und den informellen Erläuterungen dazu, etwa Ihren Beweisdarstellungen. Letztere dürfen Details aussparen und sollten möglichst interaktiv vorgetragen sein, lebhaft und am besten mit vielen Bildern und ad-hoc-Erläuterungen dazu.

Machen Sie an den entscheidenden Stellen Pausen, und ermutigen Sie die Zuhörer, nachzufragen: wer die anfängliche Definition oder Problemstellung nicht verstanden hat, an dem wird Ihr ganzer Vortrag sinnlos vorbeirauschen. Dies erfordert viel Fingerspitzengefühl: versuchen Sie, Ihre Zuhörer so zu ermutigen zu Nachfragen, dass sie sich nicht schlecht fühlen dabei. Das vielleicht größte Problem bei der Kommunikation mit Ihren Zuhörern ist, dass diese sich oftmals ihr Nichtverstehen als eigene Dummheit deuten, oder einfach kurz unaufmerksam waren und nicht deshalb die anderen Zuhörer durch Nachfragen aufhalten wollen. Wenn es zeitlich geht, ermutigen Sie auch solche Nachfragen!

Prüfen Sie bei jedem Satz, den Sie aussprechen, ob die Zuhörer ihn wirklich verstehen können: wenn Sie "so etwas" sagen und an etwas Bestimmtes denken, sind Sie sicher, dass ihre Zuhörer an das gleiche denken? Wenn Sie "links" und "rechts" sagen: tun Sie dies aus Sicht der Zuhörer! Und versuchen Sie, präzise zu sprechen, ohne dass es Ihre Sprechweise überlädt. Wenn Sie über Graphen mit 17 Eigenschaften sprechen, die Sie über 10 Minuten eingeführt haben, brauchen Sie nicht jedesmal, wenn Sie einen solchen Graphen erwähnen, alle 17 Eigenschaften aufzuzählen. Aber vielleicht können Sie etwas sagen wie "Graphen wie in Lemma 3", und alles ist vollkommen präzise.